Der Krieg in der Ukraine schockiert die Weltbevölkerung. Das gesamte Ausmass dieser humanitären Katastrophe ist noch nicht abzusehen und auch wenn ein Ende der Krise zuletzt (hoffentlich) etwas näher gerückt ist, bleiben viele Fragen offen. Auch nach dem Ende der akuten Phase militärischer Konfrontation werden weitere Verhandlungen nötig sein und es ist mit Verschiebungen in der geopolitischen Sicherheitsarchitektur zu rechnen. Neben dem menschlichen Leid lässt der Krieg die Preise vieler Rohstoffe steigen und bremst die Konjunkturerholung, die nach der Pandemie eigentlich noch Potenzial gehabt hätte. Der russische Einmarsch dürfte zudem langfristige Folgen für die internationale Politik mit noch unabsehbaren Auswirkungen für Weltwirtschaft und Finanzmärkte haben (z.B. Global- isierung, Zusammenarbeit Westen-Osten-China).
Der Start in das Jahr 2022 wurde von unfassbaren Ereignissen überschattet. Die Kurs- verläufe der Aktienmärkte rücken angesichts des Leids in der Ukraine in den Hintergrund und scheinen schon fast nebensächlich zu werden. Trotzdem ist es die treuhänderische Pflicht der Scobag, dass wir uns Gedanken über die Auswirkungen des Krieges machen und die Anlagestrategien unserer Kunden entsprechend anpassen. In den folgenden Zeilen möchten wir kurz unsere Überlegungen erläutern und auf die aktuelle Positionierung eingehen.
Jahresperformance per 31.03.2022
Alessandro Miano
Vizedirektor
Rückblick: Der Krieg dominiert alle Anlageklassen
Zum Jahreswechsel blickte die Finanzwelt optimistisch in die Zukunft. Eine Beruhigung der Coronasituation führt zu einer anhaltenden Erholung und die Nachfrage nach vielen Gütern und Dienstleistungen treibt das Wachstum, lautete die allgemeine Einschätzung. Einzig die hartnäckige Inflation und die Aussicht auf Zinserhöhungen durch die US Notenbank FED trübten den Ausblick etwas ein. Die Aktienkurse reflektierten den Optimismus und preisten eine gute Konjunktur und eine solide Gewinnentwicklung ein. Viele Aktienindices schlossen das Jahr nahe am oder sogar auf absoluten Rekordwerten ab, bevor Gewinnmitnahmen im Januar zu leichten Kursverlusten führten (speziell im hoch bewerteten Wachstumssegment).
Der russische Truppenaufmarsch wurde bereits in den Wochen vor dem Einmarsch kritisch beobachtet. Die meisten Strategen waren aber zuversichtlich, dass es sich lediglich um Drohgebärden handelt und keine grosse Invasion folgen würde. Entsprechend löste der tatsächliche Einmarsch am 24. Februar heftige Schwankungen in allen Segmenten der Finanzmärkte aus. Die Aktienmärkte verloren vom 24.02.2022 bis zum Tiefpunkt in der ersten Märzwoche bis zu 15%, bevor die Hoffnung auf eine Deeskalation und beginnende Verhandlungen eine Gegenbewegung ab dem 08. März auslöste. Am Ende verlieren die internationalen Aktien- märkte im ersten Quartal 2022 rund 5 bis 10 % und geben damit nur einen Teil der Kurs- gewinne des letzten Jahres wieder ab. Per Quartalsende stehen die meisten westlichen Aktienindices sogar auf einem höheren Niveau als bei Kriegsbeginn. Einzig der britische Markt kann dank einer hohen Gewichtung von Energie- und Rohstoffaktien Kursgewinne verbuchen. Viele Rohstoffe wurden schlagartig viel teurer. Die Ukraine ist ein wichtiger Produzent von Agrarprodukten, während Russland zu den grössten Exporteuren von Erdöl und Gas gehört. Gold profitierte von seiner Eigenschaft als Versicherung in Krisenzeiten und gewann in den Tagen des Einmarsches an Wert, gab die Gewinne dann aber im Zuge der Erholung der Aktienmärkte wieder ab. Überraschend grosse Verluste verbuchten 2022 die Obligationenmärkte, die normalerweise als stabiler Pfeiler einer Anlagestrategie gelten. Durch die steigenden Inflationserwartungen wurde die US Notenbank FED zu einem ersten Zinsschritt gezwungen und weltweit steigen die Marktzinsen für Anleihen. Der Zins für 10-jährige Eidgenossen steigt bis Ende Quartal auf rund 0.7% und damit auf das höchste Niveau seit 2014. Steigende Renditen bedeuten sinkende bligationenkurse. Entsprechend dürfte das erste Quartal für viele Anleihenindices und -fonds als das schlechteste Quartal seit langem in die Geschichte eingehen.
Tobias Brütsch
Leiter Portfolio Management
Die Treiber der Aktienmärkte – wie gelingt die Rückkehr zur Hausse?
Grosse Herausforderungen konfrontieren aktuell die Aktienmärkte. Die Stimmung ist ange- spannt und die Schwankungen bleiben, abhängig vom täglichen Newsflow, hoch. Was braucht es, um wieder zu ruhigeren Märkten mit einer positiven Grundstimmung zurück zu kehren? Die Erwartungen der Marktteilnehmer sind ein wichtiger Auslöser der Marktbewegungen. Die Kurse reflektieren die Summe aller Erwartungen über die Entwicklung der Märkte. Die meisten Investoren sind im Moment eher vorsichtig. Entsprechend braucht es für eine Rück- kehr zu einem stabilen Bullenmarkt die Hoffnung auf Besserung bei einem oder mehreren wichtigen Themen, die von vielen Strategen beobachtet werden:
Unternehmensgewinne: Durch die aktuelle Krise trübt sich der Gewinnausblick ein, auch wenn nicht in allen Branchen gleich stark. Die Kosten für die Rohmaterialien und die Energie steigen aktuell deutlich an und setzen die Margen unter Druck. Vor allem in den USA herrscht dazu ein Fachkräftemangel, was zu steigenden Lohnkosten und zusätzlichem Margendruck führt. Entsprechend muss damit gerechnet werden, dass sich die Unternehmensgewinne in energieintensiven und zyklischen Industrien weniger positiv entwickeln, als noch vor wenigen Wochen prognostiziert wurde. Besser sieht die Situation in Segmenten aus, die 2021 noch von Coronamassnahmen gebremst wurden und weiterhin Aufholpotential haben, oder die nicht so stark von höheren Energiepreisen belastet werden (z.B. die Pharmaindustrie).
Bewertungen: Viele Faktoren beeinflussen die Bewertungen der Aktien. Die Wichtigsten sind die Zinsen, das Wachstumspotenzial und die allgemeine Erwartungshaltung der Investoren. Überwiegt eine negative Meinung, sind die Bewertungen tief und bereits kleine Verbesserungen im Ausblick rufen eine positive Reaktion hervor. Teure Bewertungen reflektieren optimistische Erwartungen. Die jüngst steigenden Zinsen und die hohe Unsicherheit zum Kriegsverlauf liessen die Bewertungen in den letzten Monaten sinken. Teuer sind die Aktienmärkte nur noch in einzelnen Bereichen. Die schwächere Wachstumsdynamik und der Zinsgegenwind werden die Bewertungen noch länger dämpfen. Eine deutliche Bewertungsexpansion ist damit unrealistisch. Aber die Positionierung vieler Investoren ist eher vorsichtig und entsprechend bietet schon eine gewisse Aufhellung des Ausblicks die Chance auf eine Stabilisierung des Niveaus (wie in der zweiten Märzhälfte bereits geschehen).
Verbesserung Konjunktur: Die hohen Energiepreise sowie die steigenden Zinsen bremsen die Erholung nach der Pandemie. Da die Wirtschaft weltweit aber noch Aufholpotential hat und noch immer ein Nachfrageüberhang herrscht, scheint eine Rezession nicht sehr wahrscheinlich. Das Wachs- tum wird tiefer ausfallen als erhofft, sollte aber noch im positiven Bereich bleiben und damit das Korrekturpotential der Märkte begrenzen, sobald die Kurse die neue, tiefere Wachstumsbasis eingepreist haben.
Geld und Fiskalpolitik: Auch die Geld- und Fiskalpolitik kann die Aktienkurse signifikant beeinflussen. Expansive Notenbanken und ausgabenfreudige Regierungen haben einen direkten Einfluss auf die Konjunktur und damit wieder auf die Gewinne und die Bewertung. Den Notenbanken sind aktuell aufgrund der Inflation die Hände gebunden. Es wird daher an den Regierungen liegen, mit neuen Fiskalmassnahmen (Investitionen in alternative Energie und Verteidigung?) das Wachstum zu beschleunigen. Überzeugende Ankündigungen von Stimuluspaketen beleben dabei die Aktienkurse bereits lange vor der praktischen Umsetzung der Mass- nahmen. Tabelle 1 fasst die einzelnen Faktoren und unsere aktuelle Einschätzung dazu zusammen. Je nach Branche unterscheidet sich die Situation deutlich. Angesichts der vielen möglichen Szenarien vermeiden wir eine zu einseitige Positionierung des Depots. Die Auswahl der Titel ist von zentraler Bedeutung. Bis mehr Klarheit herrscht sollte noch mehr Wert auf hohe Qualität als in ruhigen Zeiten gelegt werden. Wir bevorzugen Investitionen in Firmen, die möglichst wenig Abhängigkeit zu Rohstoffen haben, über eine hohe Preismacht verfügen und durch eine stabile Bilanz Sicherheit garantieren. Um eine zu einseitige Positionierung zu vermeiden, nehmen wir aber auch ausgewählte, gesunde Unternehmen mit einem zyklischem Geschäftsmodell ins Portfolio, um von einem jederzeit möglichen und überraschenden Rebound (z.B. bei einem Waffenstillstand?) zu profitieren.
Tobias Müller
Vizedirektor
Ausblick
Wir erwarten, dass die Aktienmärkte auch in den nächsten Wochen und Monaten von zwei Hauptthemen beherrscht werden: Der Krieg in der Ukraine und der Kampf der Noten- banken gegen die Inflation. Eine rasche Lösung in der Ukraine dürfte von den Aktien- märkten mit kurzfristigen Gewinnen belohnt werden, bevor der Fokus sich dann auf die längerfristigen Folgen des Krieges richten dürfte. Eine erneute Eskalation des Krieges wäre ohne Zweifel negativ für die Aktienmärkte. Der Krieg beeinflusst auch die Inflation, da sich die Rohstoffpreise von Weizen bis Erdöl verteuern und so ganze Wertschöpfungsketten beeinflussen. Gleichzeitig bremsen Störungen in Lieferketten und die höheren Energiepreise die Konjunktur in Europa. Die bis vor dem Krieg gültigen Argumente für steigende Aktienkurse (gute Konjunktur, stabile Unternehmensaussichten, expansive Notenbanken) müssen hinterfragt werden. Die Notenbanken stehen vor einem Dilemma: Inflationsbekämpfung vs. Konjunkturhilfen. Die Inflation müsste bekämpft werden, aber gleichzeitig belasten Zinserhöhungen das Wachs- tum zusätzlich zu den beschriebenen Faktoren. Eine rasche Rückkehr zu einem stabilen Bullenmarkt erwarten wir in den nächsten Wochen nicht. Wir gehen von einer Seitwärts- bewegung mit hohen Schwankungen aus. Entsprechend scheint eine etwas vorsichtigere Positionierung und ein aktives Handeln angebracht («Buy the Dip» und «Sell the Rally»). Trotzdem bleiben Aktien als Sachwerte mit historisch gutem Leistungsausweis als Inflations- schutz ein wichtiger Teil jeder Anlagestrategie. In Rückschlägen sollten daher auch in der aktuellen Situation der Aufbau von Positionen geprüft werden.
Schwierig bleibt die Situation auf dem Obligationenmarkt. Die steigenden Zinsen sorgen für Kursverluste und das immer noch tiefe Renditeniveau in Kombination mit der hohen Inflation lässt die Realrendite noch weiter in den negativen Bereich fallen. Das Segment bleibt daher im Moment unattraktiv.