Vor 12 Monaten startete das Jahr 2022 dank fiskalischer Impulse und der Erholung nach der Pandemie voller Optimismus und Hoffnung und endete vor ein paar Tagen mit einem ernüchternden Ergebnis für fast alle Investoren. Der Krieg in der Ukraine und die Inflation haben die Zinswende beschleunigt und so starke Korrekturen an den Finanzmärkten ausgelöst. Der Ausblick für 2023 verspricht vorderhand wenig Besserung. Es herrscht noch immer eine hohe Unsicherheit über den weiteren Verlauf der geopolitischen Probleme, der Konjunktur und der Firmengewinne. Viele Investoren und Strategen befürchten eine Rezession und warnen vor weiteren Korrekturen an den Aktienmärkten. Es gibt aber auch positive Stimmen, die Anlagechancen für langfristig orientierte Investoren sehen. Je nach Anlageklasse unterscheiden sich die Szenarien aber etwas. Im vorliegenden Anlagebrief werfen wir den berühmten Blick in die Kristallkugel, um eine Prognose für die jeweilige Attraktivität der wichtigsten Anlageklassen im 2023 abzugeben. Einmal mehr bedanken wir uns herzlich für Ihr Vertrauen und wünschen Ihnen einen guten Start in ein hoffentlich erfreuliches Jahr 2023.
Jahresperformance per 30.12.2022
Tobias Brütsch
Leiter Portfolio Management
The Big Picture
Grafik 1 zeigt es deutlich: Die Finanzwelt hat sich seit 2020 verändert. In den Jahren 2015-2020 lag die Volatilität der globalen Aktienmärkte auf einem deutlich tieferen Niveau als seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Das Umfeld war geprägt durch expansive Notenbanken, die dank der tiefen Inflation alle Möglichkeiten ausschöpften um die Wirtschaft und die Konjunktur zu stützen. Die Zinsen lagen bekanntermassen auf einem extrem tiefen Niveau und Investitionen in Aktien schienen fast alternativlos. Seit der Pandemie ist alles anders. Die globalen Lockdowns führten 2020 zunächst zu einer kurzen und heftigen Rezession in fast allen Regionen, bevor 2021 eine starke Konjunkturerholung einsetze, was die Aktienmärkte befeuerte und die Bewertungen teils auf sehr hohe Niveaus trieb. Der Ukrainekrieg und die dadurch rasant ansteigende
Inflation sorgten 2022 dann für den Kater nach der Party und fast alle Anlageklassen erlitten deutliche Kursverluste (vgl. Tabelle Jahresperformance). Der Ausblick für 2023 verspricht vorderhand keine Rückkehr in das ruhige Fahrwasser des letzten Jahrzehnts. Im Gegenteil: Die Situation bleibt nebulös und es gibt viele verschiedene Szenarien über den weiteren Verlauf der Konjunktur und damit der Finanzmärkte. Sicher scheint, dass das neue Jahr mit einer sehr schwachen Wachstumsdynamik starten wird. Die Prognosen für das Weltwirtschaftswachstum 2023 betragen nur rund 2% (statt 3-4% wie im letzten Jahrzehnt). Für viele Regionen, inkl. der wichtigsten Wirtschaftsräume USA und der EU, wird mit einer Rezession gerechnet. China dürfte zwar noch wachsen, aber die aufstrebende Volkswirtschaft kämpft mit den COVID-Folgen sowie hausgemachten Schuldenproblemen im Immobilienmarkt. Nach der Corona-Pandemie profitierte die Weltwirtschaft zunächst von vielerlei Stimulusmassnahmen und Aufholeffekten nach den Lockdowns. Diese belebenden Faktoren verlieren nun an Kraft. Die hohe Inflation dämpft die realen Einkommen und somit die Konsumlust der Konsumenten. Dazu kommt neu ein signifikanter (Zins)Gegenwind der Notenbanken, die auf die explodierende Inflation reagieren müssen. Die USA kämpft zusätzlich mit einem immer noch überhitzten Arbeitsmarkt und entsprechendem Mangel an Arbeitskräften. 2023 startet mit vielen offenen Fragen: Normalerweise dauert es bis zu 12 Monate, bis eine Anpassung der Geldpolitik voll in der Realwirtschaft angekommen ist. Welche Effekte werden durch die restriktivere Finanzpolitik der Notenbanken also noch ausgelöst? Die Auswirkungen der massiven Zinswende von 2022 dürften damit erst ab Sommer 2023 richtig sichtbar werden. Wie stark wird der Konsum durch die Inflation gebremst? Was passiert mit den Immobilienmärkten angesichts der steigenden Hypothekenzinsen? Welchen Effekt hat die Anpassung der COVID-Strategie in China? Was für Wendungen ergeben sich in den grossen geopolitischen Fragen vom Ukrainekrieg bis zum Disput um die Chip-Produktion in China und Taiwan? Unter dem Strich sind die Erwartungen für 2023 tief. Und genau darin liegt die Chance. Es besteht die realistische Möglichkeit, dass die Inflation sich abschwächen wird und die Notenbanken etwas weniger restriktiv vorgehen können als aktuell befürchtet. Erste Anzeichen dazu gibt es bereits. Dazu verfügen viele Konsumenten über hohe Ersparnisse aus der Coronazeit, die den Konsum stützen könnten. Und aufgrund der Lieferkettenprobleme der letzten Jahre sind auch die Auftragsbücher in vielen Industriebereichen voll und helfen mit, die Konjunkturverlangsamung abzufedern. All dies könnte das Ausmass und die Tiefe der Rezession dämpfen und zu einer Verbesserung der Situation im Jahresverlauf führen.
Lars Loleit
Vizedirektor
Implikationen für verschiedene Anlagesegmente
Die Aktienmärkte haben 2022 stark korrigiert und mussten die Vorjahresgewinne wieder hergeben. Die Bewertungen sind aufgrund der steigenden Zinsen unter Druck geraten und auch der Ausblick für die Gewinnentwicklung der Unternehmen verschlechtert sich. Für 2023 sind zwei Hauptszenarien denkbar:
■ Der negative Fall ist das Rezessionsszenario: Die globale Wachstumsverlangsamung führt zu deutlich sinkenden Unternehmensgewinnen und einer schwachen Umsatzdynamik. Gleichzeitig führt eine Lohn/Preisspirale zu einer hartnäckigen Inflation und die Notenbanken bleiben länger auf der Bremse als erhofft. Die Folge ist eine Aktienmarktkorrektur und weiter sinkende Bewertungen in den nächsten Monaten. Im 2. Halbjahr könnte dann eine Erholung einsetzen, sobald das Ende der Rezession sowie eine wieder lockerere Geldpolitik erahnt werden kann.
■ Der positive Fall: Die Inflation sinkt schneller als erwartet und die Notenbanken können bereits im 1. Quartal eine Anpassung der Geldpolitik vornehmen. Die zuvor erwähnten Faktoren wie der hohe Auftragsbestand dämpfen die negativen Effekte auf die Unternehmen und die Gewinne entwickeln sich ansprechend. In diesem Szenario fällt die Rezession mild aus und die Disinflation (rückläufige Inflationsraten) und wieder sinkende Zinsen wirken positiv auf die Aktienbewertung. Welches der beiden Szenarien sich am Ende herauskristallisieren wird, ist offen. Viele Investoren und Strategen befürchten aktuell das pessimistische Szenario. Die Notenbanken zeigten sich im letzten Dezember noch sehr vorsichtig und warnen vor weiteren Zinserhöhungen. Entscheidend sein werden die Daten zur Inflation und zur Entwicklung des US-Arbeitsmarktes in den nächsten Monaten sowie die Aussagen der Firmen im Februar und März bei der Präsentation der Jahresergebnisse. Bis dahin werden die Aktienmärkte weiterhin nervös bleiben eine Rückkehr zum ruhigen Bullenmarkt scheint vorläufig unwahrscheinlich. Realistischerweise folgt nun eine Phase, in welcher die beiden Lager abwechslungsweise die Oberhand haben werden und grosse Schwankungen in beide Richtungen auslösen. Aber: Historisch gesehen bieten sich die besten Einstiegsgelegenheiten jeweils in der Mitte einer Rezession, bevor die Hoffnung auf Besserung die Bewertungen ansteigen lässt. Das genaue Timing kann dabei aber nie im Voraus klar definiert werden. Langfristigen Investoren bietet sich in diesem Umfeld aber die Chance, bei Rückschlägen Firmen mit starken Bilanzen, innovativen Produkten und hohen Marktanteilen günstig zu kaufen. Diese werden auch die aktuelle Situation meistern und am Ende positive Renditechancen bieten.
Anleihen
Die Ausgangslage für Obligationenanleger hat sich in den letzten 12 Monaten verbessert (Grafik 2). Die Zinswende führt zu einer neuen Situation mit positiven Nominalzinsen bei den meisten Anleihen, inkl. aller Top-Schuldnern. Die Renditen globaler Unternehmensanleihen liegen auf Niveaus wie seit der Finanzkrise 2008/2009 wohl nicht mehr. Auch Anleihen von stabilen Unternehmen wie Nestle oder Givaudan geben selbst bei bescheidenen Laufzeiten von 36 Jahren wieder positive Renditen. Das Risiko von (weiteren) Kursverlusten durch steigende Zinsen scheint angesichts der schon erfolgten Zinserhöhungen deutlich reduziert. Unternehmensanleihen von Qualitätsfirmen mit rezessionsresistenten Geschäftsmodellen bieten daher attraktive Kaufgelegenheiten. Etwas anders ist die Situation im High Yield-Bereich. Die Rezession dürfte über kurz oder lang zu einem Anstieg der Ausfallraten führen. Firmen mit schlechten Kreditratings sind dabei deutlich anfälliger als stabile Unternehmen mit guten Bilanzen. Der Anleihenmarkt bietet also insgesamt einen deutlich attraktiveren Ausblick als in den letzten Jahren. Aber analog zu den Aktien gilt auch im Obligationensegment: Qualität vor Quantität. Für Investitionen in den riskanten Bereich von High Yield Anleihen ist die Zeit noch zu früh.
Gold
Die Bilanz von Goldanlagen im 2022 ist durchzogen. Die gegenläufigen Kräfte von steigenden Realrenditen und einem stärkeren US Dollar (beides negativ für Gold) versus hohe Inflation und globale Unsicherheiten (beides positiv) neutralisierten sich und führten zu einer eher enttäuschenden Performance angesichts dem Ruf des Goldes als Inflationsabsicherung. Für 2023 bietet sich eine Chance, sollten die Realrenditen wieder fallen und die US Notenbank weniger restriktiv sein. Damit scheint der Haupttreiber für Gold der gleiche zu sein wie für die Aktien; positiv bei einer weniger restriktiven Finanzpolitik in den USA, neutral bis negativ bei weiterhin steigenden Zinsen. Ein klarer Trend ist nicht auszumachen.
Immobilienfonds
Die Schweizer Immobilienfonds haben im 2022 deutliche Kursverluste erlitten. Diese reflektieren eine Korrektur der zuvor stark gestiegenen Börsenbewertungen. Das sogenannte «Agio» (Differenz Börsenkurs zum ausgewiesenen Nettowert) ist von hohen 30-40% auf ein attraktiveres Niveau von ca. 10% gesunken eine direkte Folge der steigenden (Hypothekar-)Zinsen. Die höheren Zinsen belasten zudem auch den Ausblick des Immobilienmarktes. Eine Abkühlung im Segment der Renditeliegenschaften mit vermutlich abnehmender Kaufbereitschaft und tieferen Preisvorstellungen der Investoren würde nicht überraschen. Investoren werden sich kaum mehr mit Nettorenditen von 1.5% zufriedengeben, wenn dies dem Renditeniveau von CH-Staatsanleihen entspricht. Ein Risikoaufschlag von 12% ist angebracht und setzt somit die Bewertungen unter Druck. Weitere grosse Wertsteigerungen der Bestandesportfolios der Immobilienfonds scheinen damit unwahrscheinlicher, was in Kombination mit den normalisierten Börsenbewertungen einen neutralen Ausblick ergibt.
Kryptowährungen
Kryptowährungen gehörten 2022 zu den ganz grossen Verlierern. Die These, dass der Bitcoin das neue (bessere) Gold sei und im inflationären Umfeld als gutes Kapitalschutzinstrument funktionieren soll, hat sich klar als falsch erwiesen. Dazu kommen die negativen Vorfälle der letzten Monate. Kryptowährungen haben keinen inneren Wert, sind meist sehr intransparent und anfällig für Betrug und Kriminalität. Die Scobag beurteilt Kryptowährungen als reine Spekulationsinstrumente und rät von Investitionen ab.